Die himmliche Kontaktaufnahme

Ich sitze an meinem Schreibtisch und schaue aus dem Fenster. Ich bin ratlos und denke an meinen Papa. Ich würde ihm gerne einen Brief schreiben. Fast ein Jahr ist es her, dass er gestorben ist. Ein Jahr, in dem sich die Welt verändert hat und zwar sowas von. Ich vermisse ihn. Ich glaube, die Welt vermisst ihn auch. Vor allem seinen Humor.

Ich überlege - Wie adressiert man eigentlich einen Brief an einen Verstorbenen?

 

Vielleicht so:

An Herbert Bonewitz

Wolke 11

0815 Wohnen im Himmel

 

Lieber Babba im Himmel,

 

ich frage mich die letzten Tage, wie du eigentlich mit der Corona-Krise umgegangen wärst? Ach so, du lebst ja jetzt im Himmel und weißt ja noch gar nicht, was hier auf Erden inzwischen passiert ist.

 

Also, ich versuche es mal mit ein paar Sätzen zu beschreiben. Du erinnerst dich sicher, dass wir dich jedes Jahr – zugegeben, sehr widerwillig – zur Grippeschutz-Impfung genötigt haben.

 

Richtig, und dann hast du jeden Winter eine Erkältung bekommen und auf die sch… Grippeschutz-Impfung geschimpft. Meine Schwester hat dir dann immer den Unterschied zwischen Viren und Bakterien erklärt. Du erinnerst dich? Dabei warst du dir ohnehin sicher, dass nur der Grauburgunder vom Gabel, Josef dich vor lebensbedrohlichen Auswirkungen der Grippe geschützt hat.

 

Wie auch immer, stell dir vor, jetzt haben wir einen Grippe-Virus, der hat sogar einen Namen: Corona.

 

Nein, nicht Colonia.

 

Corona, wie das Bier.

 

Ach, das kennst du nicht? Du kennst nur eine Sonnen-Corona als Lichtkranz? Stimmt, die gibt es auch.

Ach was, eine Zigarre namens Corona gibt es auch noch.

 

Also gut. Aber es ist weder eine Zigarre noch ein Kranz um die Sonne. Corona ist ein Grippevirus, der soll auch schon etwas älter sein. Also der Name. Und der Virus heißt übrigens das Virus. Das klingt dann noch komischer. Jedenfalls kommt das Virus ursprünglich aus China.

 

Ich bitte dich, jetzt keine Vorurteile auspacken.

 

Was heißt hier: schon dein Vater hat vor der gelben Gefahr gewarnt und mit erhobenem Zeigefinger orakelt: „Ich sage nur China, China, China.“

 

Mehr hat er nicht gesagt? Und du glaubst, er hätte damals Corona gemeint? Naja, und der Opa hatt doch auch den Tabakladen…

 

Aber ich bitte dich, das hilft uns jetzt auch nicht weiter.

 

Jedenfalls soll das Corona wohl zum ersten Mal in der Provinz Wuhan in China auf einem Großmarkt aufgetreten sein. Gewisse Forscher glauben: Entweder war es eine Schlange, die Corona hatte. Oder eine Fledermaus. Oder die Fledermaus wurde von einer Schlange gegessen und die wurde dann von einem chinesischen Wanderarbeiter verspeist. Manche glauben allerdings eher, dass es ein malaiisches Schuppentier gewesen sei, das offenbar eine Grippe hatte, also Corona. Und manche Chinesen essen nun mal gerne malaiische Schuppentiere. Kein Witz.

 

Wieso in der Suppe?

 

Nein, das Tier heißt nicht malaiisches Suppentier, sondern Schuppentier. Wie die Haarschuppen.

 

Jedenfalls ist das Fleisch offenbar eine Delikatesse, zumindest für manche Chinesen, und die Schuppen werden wiederum als Heilmittel in der Traditionellen Chinesischen Medizin verwendet.

 

Stimmt, das wäre dann ja ein Heilmittel, das krank macht.

 

Wie auch immer, jedenfalls haben offenbar einige Chinesen das malaiische Schuppentier gegessen, davon dann Corona bekommen und das ist furchtbar ansteckend gewesen.

 

Inzwischen ist das malaiische Schuppentier sogar vom Aussterben bedroht.

 

Echt wahr. Und die Menschheit auch, zumindest die Schwerkranken.

 

Nein, lustig ist das nicht.

 

Ich weiß, du magst keine Anglizismen, aber inzwischen haben die einen „shut down“ gemacht – weltweit. Auf Deutsch, die Systeme heruntergefahren. Manche sprechen sogar von einem „lockdown“, übersetzt heißt das „Gefängnis“ oder „Abriegelung“.

 

Man darf jetzt nicht mehr mit anderen Menschen einfach so im Freien herumstehen. Sondern nur zu zweit. Das gilt auch für zuhause. Wegen der Ansteckungsgefahr.

 

Nein, du musst zuhause nicht stehen, du darfst auch rumsitzen. Wirklich. Wer im Sessel rumsitzt, tut was für die Gesundheit der Gesellschaft, irre. Du hast das ja früher auch gerne praktizierst und nanntest es home-sitting und couch-jumping. Das machen jetzt alle.

 

Nein, seine Kinder muss man nicht wegschicken. Familien dürfen schon zusammen bleiben.

Aber stell dir vor. Als die so nach und nach alles geschlossen haben, also die Klamottenläden und die Schuhläden und die …

 

Ich weiß, dir wäre das nicht weiter aufgefallen. Aber allen anderen schon.

 

Jedenfalls hat die Kanzlerin extra gesagt, sie schließen alle Geschäfte nur nicht die Lebensmittelläden. Und was machen die Menschen?

 

Nein, sie haben sich nicht noch schnell Schuhe und Klamotten gekauft. Nein, stell dir vor: Lebensmittel. Aber nicht nur Brot und Butter, sondern vor allem Mehl und Klopapier. So viel, dass es überall komplett ausverkauft ist. Tutti completti kein Klopapier.

 

Stimmt, du warst ja mal Werbeleiter bei Hakle. Schade, dass du damals keine Firmenanteile bekommen hast. Wir wären jetzt Millionäre. Ja, glaub mir, inzwischen darf man sein Klopapier nicht mal mehr im Auto rumliegen lassen – die Scheißpapiere gelten als Wertgegenstände. Kannst du dich noch an die Klorollen unter diesen selbstgestrickten Mützen auf den Ablagen im Auto erinnern? Das geht gar nicht mehr. Da kannst du eher noch deine Fotoausrüstung im Auto liegen lassen.

 

Was die Leute mit dem ganzen Klopapier machen?

 

Ich weiß es nicht. Es muss Haushalte geben, die haben sich mit Klopapier und Mehl für die nächsten zwei Jahre eingedeckt. In Gau-Bickelheim haben sie einen Autofahrer angehalten, der hatte so viele Klopapierrollen in seinem Auto, dass er nicht mal mehr durch die Windschutzscheibe gucken konnte.

 

Der ist nur nach Navi gefahren. Wie blöd muss man denn sein? Als die Polizei ihn gefragt hat: „Haben sie denn auch ihre Papiere dabei?“ hat selbst der Polizist einen Lachkrampf bekommen. Zur Strafe musste der Auto-Fahrer wegen Klopapierhamsterns – das ist inzwischen strafbar – eine Nacht in einer Nass-Zelle verbringen – ohne Klopapier.

Ich habe inzwischen das Gefühl, dass das Virus grundsätzlich ansteckend ist. Entweder bekommt man Grippe oder eine Klo-ptomanie.

 

Sie haben jetzt sogar ganz kleine Klopapierrollen entwickelt. Speziell für diejenigen, die sich selbst ins Hirn geschissen haben.

 

So, für heute lass es mal gut sein. Ich melde mich noch mal bei dir. Lass es dir gut gehen und grüß da oben deinen Chef von mir – hier unten steht alles kopf.

 

Dein Bubsche