Wenn das Herz aus dem Takt springt

 

Eine Reportage von Michael Bonewitz

 

In Deutschland sind über 2 Millionen Vorhofflimmerpatienten registriert und es werden immer mehr. Vorhofflimmern ist die häufigste anhaltende Herzrhythmusstörung des Menschen und gilt inzwischen als Volkskrankheit. Das Vorhofflimmern selbst ist nicht lebensbedrohlich. Aber die Folgeschäden. Vor allem steigt das Schlaganfallrisiko. Mehr als 20 Prozent aller Schlaganfälle sind auf Vorhofflimmern zurückzuführen. Schlaganfälle zählen neben dem Herzinfarkt und Tumorerkrankungen zu den häufigsten Todesursachen in Deutschland. Michael Bonewitz musste sich einer Katheterablation unterziehen, einer High-Tech-Operation im Herzen, die im Idealfall das Vorhofflimmern beseitigt.

 

Mein Herz rast, als ich um 11:30 Uhr im Gebäude 605 der Mainzer Universitätsmedizin stehe. Ich spüre wie mein Kreislauf schwächelt. Jetzt nur nicht umkippen.

 

„Sie sind vorgesehen für 8 Uhr morgen früh“, sagt die Schwester bei der Aufnahme und kreuzt auf meiner Einweisung „Routine Notfall“ an. Sie ist sehr freundlich und zugewandt und bindet mir ein Plastikbändchen mit meinem Namen, Geburtsdatum und Strichcode um das Handgelenk. Jetzt bin ich eine kleine Nummer im Getriebe der Universitätsmedizin. In einer der größten Kliniken des Landes mit 8.000 Angestellten, 70.000 Patienten, die pro Jahr stationär und rund einer halben Millionen, die ambulant behandelt werden. Hier wird der Notfall zur Routine. Es ist 12 Uhr. Der Countdown läuft. Noch 20 Stunden bis zur OP und mein Herz stolpert derweil wie ein Betrunkener, der einen Abhang hinuntertorkelt.

 

Ich habe Vorhofflimmern. Das erste Mal spürte ich es vor zwei Jahren. Mitten in der Nacht rumpelte mein Herz plötzlich los. Stunden lag ich wach als mein Brustkorb bebte und wusste nicht, was ich tun sollte. So unvermittelt wie es kam, ging es wieder.

 

Sechs Monate später sprang das Herz wieder aus dem Takt. Es rumpelte und pumpelte, stockte, hüpfte weiter, mal schnell, mal langsam, ich schwitze, bekam Angst. Irgendwann in den Morgenstunden hörte das Flimmern auf. Ich vereinbarte einen Termin beim Rhythmologen der Unimedizin, Prof. Dr. Thomas Rostock. Als mir im Krankenhaus die Krakenarme des Elektrokardiogramms (EKG) angelegt wurden, war allerdings alles wieder normal.

 

„Ihr Herz schlägt im Sinusrhythmus“, beruhigte mich Prof. Rostock.

 

Tatsächlich bezieht sich die Kurve des Herzschlags, die im EKG angezeigt wird, auf den Ort des Geschehens - den Sinusknoten im rechten Vorhof, der natürliche Schrittmacher unseres Herzens. Ist der Rhythmus gleichmäßig, spricht der Arzt vom Sinusrhythmus.

 

„Um Ihren Fall eindeutig beurteilen zu können, brauchen wir Ihr Vorhofflimmern auf dem EKG“, so Rostock.

 

Sieben Tage lang trage ich ein mobiles EKG-Gerät um den Hals, das mit Klebepunkten auf meinem Brustkorb fixiert ist. Nichts passiert. Anschließend erhalte ich einen Ereignis-Rekorder. Drei Monate behalte ich das graue Kästchen Tag und Nacht in meiner Nähe. Sein Auftrag: Sollte das Vorhofflimmern starten, schalte ich den Rekorder ein und drücke den Kasten auf die Brust. Nichts passierte. Fast ein halbes Jahr lang hatte ich Ruhe. Ich gab den Kasten zurück.

 

Dann starb mein Vater. Verblüffenderweise blieb mein Herz während der schwersten Stunden im Sinusrhythmus. Aber die Unruhe in meinem Körper wurde Tag für Tag mehr. Nachts konnte ich kaum schlafen, tagsüber war ich hundemüde. Urplötzlich abends um neun sprang das Herz wieder aus dem Takt. In der Klinik folgte der Beweis auf dem EKG: Vorhofflimmern. Ich bekam einen Blutverdünner und ein Mittel aus der Gruppe der Antiarrhythmika. Wenn das nicht wirken sollte, käme nur noch eine Operation in Frage. Interessanterweise gibt es Patienten, die das Vorhofflimmern gar nicht bemerkten, erzählte mir Professor Rostock. Die weiterlebten, ohne zu wissen, dass sie eine Zeitbombe in sich trugen. Denn beim Vorhofflimmern steigt das Risiko für eine Gerinsel-Bildung im Herzen, was im schlimmsten Fall einen Schlaganfall auslöst. Daher auch der Blutverdünner, der das Schlaganfall-Risiko senkt.

 

Leider haben mir die Medikamente nur kurzfristig geholfen. Nach vier Wochen kehrte das Vorhofflimmern zurück, diesmal jeden Tag, in Schüben von vier bis fünf Stunden, mit heftigen Ausschlägen bis zur Erschöpfung. Jetzt half nur noch eine OP. Am Tag der Einweisung war ich so zermürbt, ich hätte sogar mein linkes Bein geopfert, wenn nur endlich das Flimmern aufhören würde. Nun sitze ich in Gebäude 401 K, im 3. Stock. Noch 15 Stunden bis zur OP. Wie ein Seismograph höre ich permanent in mich hinein. Das kleinste Stolpern, ein Muskelzucken, ein unterdrücktes Aufstoßen, alles könnte der Startschuss für das nächste Flimmern sein.

 

Noch 14 Stunden. Der Stationsarzt beschreibt, was bei der OP gemacht wird: Mit zwei Miniwerkzeugen wird sich das Ärzteteam durch die Leistenvenen auf den Weg zum Herzen machen. Gleichzeitig werden in meine Speiseröhre ein Ultraschallinstrument und ein Wärmesensor eingeführt. Während des Eingriffs werde ich betäubt mit einer Mischung aus Schmerz- und Schlafmittel. Keine Vollnarkose. Dauer des Eingriffs: eineinhalb Stunden.

 

Schon mit dem Einstich beginnt das Risiko. Denn direkt neben der Leistenvene liegt eine Ader, die beim Einstieg verletzt werden könnte. Dann blute ich nach innen. Da ich einen Blutverdünner bekomme, keine schöne Vorstellung. Sind die Ärzte in der Herzkammer angekommen, müssen sie vom rechten Vorhof ein Loch in die Zwischenwand bohren, um in den linken Vorhof zu gelangen.

 

Jetzt beginnt der eigentliche Eingriff. Mit einer Wärmesonde werden die Ränder der Lungenvenen verödet. Dort werden die elektrischen Impulse für das Vorhofflimmern übertragen. Sobald diese Stellen abisoliert sind, ist das Vorhofflimmern quasi ausgeschaltet. Leider funktioniert das nur in 60 bis 80 Prozent der Fälle. Außerdem lauert bei diesem Vorgang die nächste Gefahr. Das Veröden läuft über Erwärmung mithilfe des Katheters. Wird das Ding zu heiß, schmilzt buchstäblich die Wand des Vorhofs durch, das Blut fließt in den Herzbeutel. Dann hilft nur noch eine Not-OP. Damit der Katheter das Gewebe nicht zu stark erhitzt, dafür ist der Wärme-Sensor in der Speiseröhre verantwortlich.

 

Der linke Vorhof und die Speiseröhre sind nur wenige Zentimeter voneinander entfernt. So kann man von hier aus mit einem Ultraschallgerät direkt in den Vorhof blicken. Das nächste Risiko schlummert zwischen Speiseröhre und Herzkammer. Gelegentlich könnte sich hier nach dem Eingriff eine Fistel bilden, eine Komplikation mit meist tödlichem Ausgang. Aber die Wahrscheinlichkeit, so der Stationsarzt, sei ziemlich gering. Ich unterschreibe die Patientenaufklärung und füge mich in mein Schicksal.

 

Um 7.15 Uhr am nächsten Morgen wird es ernst.

„Hallo, ich bin Sarah, ziehen Sie bitte alles aus und das OP-Hemd und diese Socken an.“

 

In der Umkleidekabine habe ich große Schwierigkeiten mit dem Hemd, das über zwei Bändel oben und unten verschnürt werden muss. Ich bin ja noch mit dem mobilen EKG-Gerät verdrahtet und um meinen Hals hängt der Akku. Trotz mehrfacher Versuche, bekomme ich die oberen Bändel nicht gescheit an dem Akku vorbei. Irgendwie verknote ich alles leidlich miteinander und gehe aus der Kabine. Verwirrt schaut mich Sarah an.

 

„Oh je, Sie haben das OP-Hemd falsch herum an, die Öffnung muss nach hinten.“

 

Also wieder rein in die Kabine. Aber hinten zubinden, ist noch schwieriger. Erste Schweißtropfen bilden sich. Ich habe schon Angst den OP-Termin zu verpassen. Irgendwann gehe ich raus und bitte Sarah um Hilfe. Puh.

 

Als sich die Schleuse zum OP-Saal öffnet, spüre ich, wie sich mein Gesichtsfeld verengt. Trotz Tunnelblicks nehme ich Schwestern wahr, diverse Monitore und eine coole Hightech-Einrichtung. Ich fühle mich ein bisschen wie im Raumschiff Enterprise bei Dr. McCoy. Sarah führt mich zu einer mit Kissen gepolsterten Liegefläche. Am linken Arm wird mir eine Blutdruckmanschette angelegt, die sich alle zwei Minuten aufbläst, in der rechten Armbeuge eine Nadel gesetzt. Eine Infusion tropft in meine Blutbahn. Ich schaue an die Decke. Vielleicht war’s das, denke ich. Wäre schon schade. Wie sagte mal mein Vater: „Wenn ich mal tot bin, werde ich mich sehr vermissen.“ Ich muss schmunzeln. Derweil werden mein Brustkorb und Rücken, mein Bauch und auch meine Beine mit Elektroden übersät. Mit werden gefühlt 25 EKG-Knöpfe angesetzt.

Plötzlich steht Professor Rostock in grünem Outfit neben mir.

 

„Sind Sie bereit?“, fragt er.

 

Was soll man da antworten? Ich nicke.

 

„Ihr Vorhofflimmern war übrigens gestern Abend gegen 5 Uhr vorbei, dafür hatten Sie heute Nacht Vorhofflattern bekommen. Das ist nicht ungewöhnlich, das haben viele Patienten mit Vorhofflimmern, das behandeln wir gleich mit.“ Wie beruhigend.

 

Eine Schwester kommt mit einem merkwürdigen Mundstück auf mich zu.

 

„Das binden wir ihnen um, damit wir das Schluckultraschall in Ihre Speiseröhre einführen können.“ Ich überlege noch, ob ich das jetzt schlucken muss und im nächsten Moment bin ich weg.

 

Zwei Stunden später höre ich meinen Namen. Ich hab‘s überlebt.

 

Später erklärt mir Professor Rostock, dass alle notwendigen Stellen verödet wurden. Allerdings hätte ich während des Eingriffs wieder Vorhofflimmern bekommen. Vermutlich durch meine zahlreichen Flimmerphasen, hatte sich an einer Stelle der Herzkammerwand eine Narbe gebildet, die nun wiederum die Impulse für das Vorhofflimmern übertragen habe. Nachdem er auch die Narbe verödet hätte, sei das Vorhofflimmern vorbei gewesen.

 

Um meine Leiste trage ich zunächst einen Druck-Verband, der mich ein wenig an einen Minirock erinnert. Stunden später kann ich bereits vorsichtig aufstehen. Am dritten Tag nach der Einweisung werde ich entlassen. Ich soll 14 Tage lang nichts Schweres tragen und keinen Sport machen. Nach drei Monaten könnte ich eventuell den Blutverdünner absetzen. Vorausgesetzt, ich vermeide alle Risikofaktoren: Kein Übergewicht, keinen Bluthochdruck, kein Diabetes, keine Schlafapnoe und Alkohol nur in verträglichen Mengen.

 

Professor Vahl von der Herz-Thorax-Chirurgie der Unimedizin schreibt mir später: „Die Befundlage war dramatischer als erwartet.“ Ich solle dem lieben Gott danken, dass ich keinen Schlaganfall bekommen habe. Ich danke dem lieben Gott und den Operateuren – und rate jedem ab 50, regelmäßig zum Arzt zu gehen und auf die ersten Warnzeichen zu achten. Wir haben alle nur ein Herz. Und am besten ist es, wenn es im Takt schlägt. Im Sinusrhythmus.

 

Veröffentlicht in der Mainzer Allgemeinen Zeitung am 1. Februar 2020 in einer leicht gekürzten Version - hier der Link zur gedruckten Fassung:

https://www.allgemeine-zeitung.de/panorama/leben-und-wissen/vorhofflimmern-wie-es-sich-anfuhlt-und-wie-die-op-ablauft_21146267