© Kristina Schäfer
Terra X ist sicher eine der populärsten und spannendsten Wissenschaftssendungen im deutschen Fernsehen. Seit diesem Jahr ist Mirko Drotschmann einer der Moderatoren der beliebten Sendereihe im ZDF. Geboren 1986 in Malsch, lebt Drotschmann inzwischen in Rheinhessen und ist mit seinem YouTube-Kanal „MrWissen2go“ einer der erfolgreichsten YouTube-Journalisten, der vor allem Geschichtsthemen für eine überwiegende junge Zielgruppe unterhaltsam aufbereiten kann.
Von Michael Bonewitz
Herr Drotschmann, ich habe mal im Internet nachgeschaut, Sie sind in Malsch bei Karlsruhe geboren und werden bei Wikipedia schon als „besonderer Sohn der Stadt“ aufgeführt. Mit Mitte 30 eine stolze Leistung.
Das ist lustig, ist mir gar nicht bewusst gewesen. Aber ich habe heute noch einen engen Bezug zur Region. Witzigerweise ist das Geburtshaus, in dem ich geboren bin, heute ein Seniorenheim. Das ist durchaus ein Sinnbild für unsere demographische Entwicklung. Malsch ist ein kleiner Ort, ca. 10.000 Einwohner – also eher überschaubar – und hat eine gute Lage. Karlsruhe ist nah, man ist schnell in Freiburg und Stuttgart. Der Ort ist in gewisser Weise vergleichbar mit Nierstein, wo wir unser Büro haben.
Sie haben zwei Steckenpferde: Journalismus und Geschichte. Woher kam Ihre Begeisterung für Geschichte?
In Geschichte kommt es extrem darauf an, wie sie vermittelt wird. Und ich hatte ganz tolle Lehrerinnen – ausschließlich übrigens. Wir haben Rollenspiele im Unterricht gemacht und eine Lehrerin hat sehr gerne Anekdoten in den Unterricht einfließen lassen. Ich erinnere mich bis heute daran, wie lebhaft sie erzählt hat, dass es zum Beispiel in Versailles immer sehr wenige Toiletten gegeben hat und die Leute in die Gänge gepinkelt haben. Über dieses Bild hat sie uns das Leben am Hof erklärt. Genau so muss meiner Meinung nach Geschichte vermittelt werden – über Geschichten, die einen packen.
Haben diese Erlebnisse Sie inspiriert, Geschichte so anschaulich zu vermitteln, wie Sie es in Ihrem YouTube-Kanal oder auch bei Terra X tun?
In jedem Fall, denn Geschichte ist viel mehr, als nur Jahreszahlen und Namen auswendig zu lernen. Es geht darum, Zusammenhänge zu verstehen, auch Spaß zu haben an den Erzählungen und sich damit auseinanderzusetzen.
Geschichtslehrer wollten Sie aber nicht werden?
Das war ein bisschen mein Plan B. Journalismus ist ein unsicheres Feld – das war auch schon vor 15 Jahren so, als ich Abitur gemacht habe. Also dachte ich, ich studiere einfach mal Geschichte und falls es mit dem Journalismus nicht klappt, könnte ich noch auf Lehramt umsatteln und einige Semester dranhängen. Ganz ehrlich, ich hätte auch heute noch Spaß daran, eine Oberstufenklasse zweimal in der Woche in Geschichte zu unterrichten.
© Kristina Schäfer
Hatten Sie selbst ein Spezialthema oder eine Epoche, die Sie besonders interessiert hat?
Zur Schulzeit hat mich, wie viele in meinem Alter damals, die Zeit des Nationalsozialismus sehr beschäftigt. Weil ich einfach nicht verstehen konnte, was Menschen dazu bringt, solche Verbrechen zu begehen. Eines der ersten Bücher, das ich dazu gelesen habe, war auch gleich ein richtiger Hammer: „Der SS-Staat“ – das ist ein Buch, das sehr früh nach dem Dritten Reich geschrieben wurde und das tiefe Einblicke in das Leben in den Konzentrationslagern gibt, auch in Auschwitz. Da habe ich zum ersten Mal mit voller Wucht erfahren, was das damals bedeutet hat. Mein Opa war selbst Soldat im Zweiten Weltkrieg und hat da ein Bein verloren. Nachdem ich das Buch gelesen hatte, habe ich ihn natürlich total ausgefragt und er hat dann auch zum ersten Mal von der Zeit erzählt, was er vorher noch nie getan hatte.
Später an der Uni haben sich die Interessen etwas verschoben. Bis heute interessiert mich Alltagsgeschichte ganz besonders und an der Uni hatte ich Technikgeschichte als Zusatzfach. Da haben wir uns beispielweise mit der Geschichte der Kühlung beschäftigt. Wenn man erfährt, wie Menschen vor 200 oder 2.000 Jahren gelebt, was und wie sie gegessen, wie sie ihr Essen zubereitet, wo sie geschlafen haben, dann kann man auch sehr viel ableiten, was gesellschaftlich und politisch zu der Zeit passiert ist. Vor allen Dingen kann man viele Klischees beseitigen. Das stört mich am meisten, die vielen Klischees, die in Bezug zu historischen Themen immer noch präsent sind.
Zum Beispiel?
Die Mär vom „dunklen Mittelalter“, das ist der Klassiker. Das ist eine Legende, die während der Aufklärung aufgekommen ist, um die Kirche kritisch darzustellen. Klar hat die Kirche sich zu der Zeit auch unglaublicher Verbrechen schuldig gemacht, aber das Mittelalter war nicht nur geprägt vom Denken ans Jenseits, während gleichzeitig jegliche Innovation verweigert wurde. Es war nicht alles düster. In dieser Epoche sind unglaubliche Dinge auf den Weg gebracht worden und die Menschen waren fortschrittlicher, als wir es uns vorstellen können. Wenn man sich Filme oder Dokumentationen über diese Zeit anschaut, werden die Menschen gerne in schmutzigen Kleidern gezeigt und eher einfältig dargestellt. Das mag zum Teil so gewesen sein, aber sicherlich nicht insgesamt. Und ich glaube, wir tun dem Mittelalter heute sehr Unrecht.
Karl der Große etwa war zwar auch ein Kriegsherr, aber eben auch ein Innovator.
Absolut, oder denken Sie an die Architekten des Mittelalters. Wenn man sich heute anschaut, wie lange etwa der Bau des Berliner Flughafen gedauert hat … Neulich war ich auf der Burg Drachenfels bei Bonn – das ist eine Burg, die in nur zwei Jahren entstanden ist. Das kann man sich heute gar nicht vorstellen, heute dauert alles viel länger. Und die Burg dort steht immer noch und es ist auch noch alles stabil. Zugegeben: Das ist kein mittelalterlicher Bau, aber immerhin schon über 100 Jahre alt. Und wir denken oft, wir sind heute so viel besser als vorangegangene Generationen, aber in vielen Dingen sind wir das gar nicht.
© Kristina Schäfer
Da muss man sich nur die Römerbauten anschauen, die vor 2.000 Jahren entstanden sind.
Genau, die Römer hatten schon Fußbodenheizung. Das ist im Mittelalter leider wieder vergessen worden. Die Menschheit war schon vor langer Zeit in mancher Hinsicht sehr fortschrittlich entwickelt, natürlich nicht in allen Bereichen. Andererseits ist heute die vorherrschende Meinung, dass wir gewisse Themen längst überwunden hätten. Signifikant ist das zum Beispiel bei den Hexenverfolgungen. Wir meinen heute: Wie konnten die Menschen nur so dumm sein, so etwas zu machen? Aber wenn wir uns heute anschauen, was zum Teil im Internet mit den Shitstorms passiert, ist das nicht so weit davon weg. Die Mechanismen, die dahinterstecken, sind oft exakt die gleichen: Jemand wird an den Pranger gestellt und von allen möglichen Leuten verteufelt. Und danach ist seine gesellschaftliche Existenz dahin – und ähnlich war es auch damals.
Was fasziniert Sie am Alltagsleben in der Geschichte?
Es wird umso schwieriger, desto weiter man in der Zeit zurückgeht. Nehmen wir zum Beispiel die Germanen, die es ja so als Volk gar nicht gab. Leider gibt es fast keine Aufzeichnungen von ihnen. Aber in anderen Zeiten und Epochen hat man beispielsweise Rezepte notiert, da erfährt man sehr viel über den Alltag. Oder man gräbt mittelalterliche Müllhalden aus und kann daraus rückschließen, was die Menschen damals gegessen haben.
Wobei sich das Mittelalter ja über Jahrhunderte hingezogen hat.
Völlig richtig, beim Mittelalter denken viele, man spricht von einer Epoche, in der alles gleich war, aber das umfasst ja eine Zeitspanne von fast 1.000 Jahren. Oder schauen Sie in die Zeit des alten Ägypten, das war eine Hochkultur, die 2.000 Jahre Bestand hatte. Das wäre ja so, als würde man uns heute mit Menschen vergleichen, die vor 2.000 Jahren zur Zeit von Christi Geburt gelebt haben – das funktioniert auch nicht. Diese Dimensionen und diese Zeitabstände muss man immer im Hinterkopf haben. Das finde ich ganz wichtig, um viele Klischees zu beseitigen.
Wie kam es zu Ihrer Verbindung zwischen Geschichte und Journalismus?
Ich habe schon während des Studiums als freier Mitarbeiter unter anderem beim SWR-Hörfunk für „Das Ding“ gejobbt. Nach dem Studium in 2010 hatte ich die Gelegenheit, im ZDF bei der Kindernachrichtensendung „logo“ mitzuwirken. Meine Frau hat in Mainz studiert und das hat dann gut gepasst. Beim SWR habe ich später volontiert und war sowohl für Hörfunk, Fernsehen und Internet tätig – das war eine sehr umfassende Ausbildung.
War denn die Arbeit für die ZDF tivi-Kindernachrichten eine wichtige Grundlage für Ihre spätere Herangehensweise?
Bei logo lernt man in der Tat von Anfang an Dinge so zu erklären, dass sie jeder versteht. Wenn man es schafft, Kindern Themen verständlich zu vermitteln, kann man es jedem erklären. Man muss unwesentliche Dinge weglassen, komplexe Themen so reduzieren, dass sie verständlich, aber nicht falsch sind. Mein Paradebeispiel ist immer der Nahost-Konflikt, den ich in 1:30 Minuten erklären musste – ich weiß nicht, ob es mir gelungen ist. Aber das waren Herausforderungen, die mir auch später geholfen haben.
Das Mainz-Heft 4/20 können Sie in unserem Online-Shop erwerben.